Ev. Akademie Loccum, 4. – 6. April 2019: Forum „Orthodoxie in der Ukraine. Ein tiefgreifender Konflikt?“
In dem im Rahmen der Akademie-Tagung veranstalteten Forum wurden zunächst Kurzreferate gehalten: Prof. Dr. Jennifer Wasmuth (Institut für Ökumenische Forschung/Strasbourg) skizzierte die historische Ausgangslage. Der ursprünglich zur „Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats“ (UOK-MP) gehörige, inzwischen zur neu gegründeten „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ gewechselte orthodoxe Priester Bohdan Ogulchanskyi (Open Orthodox University Sophia/Kiev) schilderte die aktuelle kirchliche Situation und betonte das Recht einer von Moskau unabhängigen, eigenen orthodoxen Kirche der Ukraine. Als Vertreter der vor allem in der Westukraine einflussreichen „Ukrainischen Griechischen Katholischen Kirche“ (UGKK) beleuchtete Priester PD Dr. Dr. Thomas Nemeth (Ostkirchliches Institut/Würzburg) die Möglichkeiten der Annäherung zwischen den verschiedenen Kirchen in der Ukraine durch die Gründung der neuen orthodoxen Kirche, bei der es sich faktisch um eine Zusammenführung der „Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats“ (UOK-KP) und der „Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche“ (UAOK) handelte. Die Schwierigkeiten, die sich durch die Verleihung des Tomos an die OKU und die damit einhergehende Anerkennung durch den Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus für die Orthodoxen Kirchen insgesamt ergeben haben, stellte der orthodoxe Priester der „Orthodoxen Kirche der Tschechischen Länder und der Slowakei“ Dr. Václav Ježek (Fachbereich Kirchengeschichte und Byzantinische Studien der Universität Prešov/ Prešov) heraus, der zugleich jedoch auch auf den sich in dem Konflikt in der Ukraine widerspiegelnden prinzipiellen Klärungsbedarf orthodoxer Ekklesiologie verwies und eine Entscheidung in dem bereits lange schwelenden Konflikt als an sich notwendig beschrieb. Dr. Dagmar Heller (Konfessionskundliches Institut/Bensheim) legte schließlich die beträchtlichen Konsequenzen dar, die ein vermeintlich nur lokaler Konflikt zwischen den Kirchen in der Ukraine für die Ökumene weltweit besitzt.
Die sich den Referaten anschließende intensive Diskussion kreiste um die folgenden Fragekomplexe:
1. Die gesamtkirchliche Entwicklung in der Ukraine: Wie werden sich die etablierten und die neue Kirche in Zukunft zueinander verhalten? Werden die Gemeinden UOK-MP mehrheitlich zur OKU übertreten? Oder werden, wonach es z.Zt. eher aussieht, zwei konkurrierende orthodoxe Kirchen bleiben, von denen die UOK-MP möglicherweise sogar die dominantere sein wird? Wird die Neugründung der OKU damit am Ende die Spaltung im Land zementieren, die durch sie gerade überwunden werden sollte? Und wie steht es mit der UGKK und der OKU? Wird es hier eine Annäherung geben? Kommt es vielleicht zu einem Präzedenzfall, der für die katholisch-orthodoxe Ökumene weltweit Bedeutung haben könnte? Oder sind dies nur Hoffnungen, die aus den aktuellen Ereignissen einer Neugründung resultieren, die aber allein angesichts der aktuellen Haltung der Römisch-Katholischen Kirche zu dem Konflikt kaum realistisch sein dürften?
2. Möglichkeiten und Grenzen der Neugründung der OKU: Wird es der OKU gelingen, die Kirche der Ukraine zu sein? Die nationale Kirche, die zur Versöhnung beitragen kann? Wofür steht die neue Kirche? Für eine moderne, offene, nach Westen hin orientierte Orthodoxie? Oder vielleicht sogar im Gegenteil für eine Kirche, die in ihren Wertvorstellungen noch traditioneller als die UOK-MP ist? Welche Gefahren liegen in der Etablierung einer von dem Moskauer Patriarchat unabhängigen Kirche? Wird die OKU unter diesen Umständen möglicherweise von der ukrainischen Regierung für eigene politische Zwecke instrumentalisiert werden? Oder aber wird sie sich zur Befestigung ihrer Position auch selbst instrumentalisieren lassen?
Am Ende des Forums entstand insgesamt der Eindruck einer z.Zt. noch völlig offenen Situation, die weiterhin eine genaue Beobachtung der Entwicklungen im Land verlangt.