Am 14. November 2015 hat Papst Franziskus die evangelisch-lutherische Christuskirche in Rom besucht und mit der Gemeinde einen Gottesdienst gefeiert. Das Ereignis verdient in jeder Hinsicht große Beachtung. Man kann auf Youtube hören und sehen, wie der Papst diesen Gottesdienst mit großer Herzlichkeit und in einer beinahe familiären Atmosphäre mit den evangelischen Christinnen und Christen gefeiert hat und wie einfühlsam und wohlüberlegt die evangelische Gemeinde und ihr Pfarrer diesen Gottesdienst vorbereitet haben. In seiner Begrüßung hat Pfarrer Dr. Jens-Martin Kruse an die Worte erinnert, die Papst Franziskus am Abend seiner Wahl gesagt hat: „„Und jetzt beginnen wir diesen Weg – Bischof und Volk -, den Weg der Kirche von Rom, die den Vorsitz in der Liebe führt gegenüber allen Kirchen; einen Weg der Brüderlichkeit, der Liebe und des gegenseitigen Vertrauens. Beten wir immer füreinander.“ Bevor das Abendgebet begann, konnten drei Gemeindeglieder Fragen an den Papst stellen. Es ist beeindruckend und bewegend, seine Antworten zu hören. Darum sollen sie hier wenigstens in Auszügen wiedergegeben werden (den Verlauf des ganzen Gottesdienstes kann man hier nachlesen).
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Erste Frage:
Ich heiße Julius. Ich bin neun Jahre alt, und ich nehme sehr gerne an den Kindergottesdiensten in dieser Gemeinde teil. Ich bin fasziniert von den Geschichten von Jesus, und mir gefällt auch, wie er sich verhält. Meine Frage ist: Was gefällt dir am meisten daran, Papst zu sein?
PAPST FRANZISKUS:
Die Antwort ist einfach. Was mir gefällt … Wenn ich dich frage, was dir vom Essen am meisten schmeckt, wirst du sagen: die Torte, die Nachspeise. Oder nicht? Man muss aber alles essen. Das, was mir, ehrlich gesagt, gefällt, ist Pfarrer sein, Hirte sein. Ich mag nicht gern die Büroarbeiten machen. Diese Arbeiten gefallen mir nicht. Ich gebe nicht gern protokollarische Interviews – dieses hier ist nicht protokollarisch, sondern familiär –, aber ich muss sie machen. Was gefällt mir daher am meisten? Pfarrer sein. […] Nun, ich bin gerne Pfarrer, und wenn ich Pfarrer bin, ist das, was mir am meisten gefällt, das mit den Kindern sein, mit ihnen zu sprechen, und man lernt viel, ja man lernt viel dabei. Ich bin gerne Papst im Stil eines Pfarrers. […] Ich liebe es sehr, das Gefängnis zu besuchen, aber nicht dass sie mich hinter Gitter bringen! Denn mit den Häftlingen zu sprechen … – du verstehst vielleicht, was ich dir sage – denn jedes Mal, wenn ich das Gefängnis betrete, frage ich mich: „Warum sie und nicht ich?“ Und dort spüre ich das Heil Jesu Christi, die Liebe Jesu Christi für mich. Denn er ist es, der mich gerettet hat. Ich bin nicht weniger Sünder als sie, aber der Herr hat mich an der Hand genommen. Auch das spüre ich. Und wenn ich ins Gefängnis gehe, bin ich glücklich. Papst sein heißt Bischof sein, Pfarrer sein, Hirte sein.“
Zweite Frage:
Ich heiße Anke de Bernardinis, und wie viele Menschen unserer Gemeinde bin ich mit einem Italiener verheiratet, einem römisch-katholischen Christen. Seit vielen Jahren leben wir glücklich miteinander und teilen Freud und Leid. Daher schmerzt es uns sehr, dass wir im Glauben getrennt sind und am Abendmahl des Herrn nicht gemeinsam teilnehmen können. Was können wir tun, um endlich die Gemeinschaft in diesem Punkt zu erlangen?
PAPST FRANZISKUS:
Danke, Frau de Bernardinis. Auf die Frage über das gemeinsame Abendmahl des Herrn zu antworten, ist nicht einfach für mich, vor allem vor einem Theologen wie Kardinal Kasper. Da ‚fürchte’ ich mich! […] ich mache mir Ihre Frage zu Eigen – da frage ich mich: das Abendmahl des Herrn zu teilen, ist das das Ende eines Weges oder die Stärkung auf dem Weg, um gemeinsam voranzuschreiten? Ich überlasse die Frage den Theologen, denen, die es verstehen. Es stimmt, dass in einem gewissen Sinn ‚teilen’ heißt, dass keine Unterschiede zwischen uns bestehen, dass wir die gleiche Lehre haben – ich unterstreiche das Wort, ein schwer zu verstehendes Wort –, doch frage ich mich: Aber haben wir nicht die gleiche Taufe? Und wenn wir die gleiche Taufe haben, müssen wir gemeinsam gehen. […] Wenn Sie gemeinsam beten, dann wächst diese Taufe, wird sie stärker. Wenn Sie Ihre Kinder lehren, wer Jesus ist, warum Jesus gekommen ist, was Jesus uns getan hat, so tun Sie das Gleiche, mit lutherischer wie auch mit katholischer Sprache, doch ist es das Gleiche. Die Frage: ‚Und das Abendmahl?’ Es gibt Fragen, auf die man – nur wenn man ehrlich zu sich selbst ist und mit den wenigen theologischen ‚Lichtern’, die ich habe – ebenso antworten muss, Sie sehen es. „Das ist mein Leib, das ist mein Blut“, hat der Herr gesagt, „tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Und das ist eine Stärkung auf dem Weg, die uns voranzuschreiten hilft. […] Auf Ihre Frage antworte ich nur mit einer Frage: Wie kann ich es mit meinem Mann machen, damit das Abendmahl des Herrn mich auf meinem Weg begleitet? Es ist ein Problem, auf das jeder antworten muss. Ein befreundeter Pastor sagte mir jedoch: ‚Wir glauben, dass hier der Herr gegenwärtig ist. Er ist gegenwärtig. Ihr glaubt, dass der Herr gegenwärtig ist. Was ist der Unterschied?’ – ‚Nun, es sind die Erklärungen, die Deutungen …’ Das Leben ist größer als Erklärungen und Deutungen. Nehmt immer auf die Taufe Bezug: ‚Ein Glaube, eine Taufe, ein Herr’, sagt uns Paulus, und von daher zieht die Schlussfolgerungen. Ich werde nie wagen, Erlaubnis zu geben, dies zu tun, denn es ist nicht meine Kompetenz. Eine Taufe, ein Herr, ein Glaube. Sprecht mit dem Herrn und geht voran. Ich wage nicht mehr zu sagen.“
Seine vom vorbereiteten Manuskript abweichende Predigt über Matthäus 25,31-46 hat Papst Franziskus mit den wegweisenden Worten geschlossen: „Mir gefällt es – und hiermit will ich schließen –, wenn ich den Herrn als Diener, der dient, betrachte, dann gefällt es mir, ihn zu bitten, dass er der Diener der Einheit sei, der uns helfe, gemeinsam voranzuschreiten. Heute haben wir gemeinsam gebetet. Gemeinsam beten, gemeinsam für die Armen und für die Bedürftigen arbeiten; sich gegenseitig lieben, mit der wahren Liebe von Geschwistern. ‚Aber, Pater, wir sind doch verschieden, weil unsere Dogmatikbücher eine Sache sagen und eure eine andere’. Ein großes Mitglied von euch hat einmal davon gesprochen, dass es Zeit sei für die versöhnte Verschiedenheit. Bitten wir heute um diese Gnade, die Gnade dieser versöhnten Verschiedenheit im Herrn, also im Knecht Jahwes, jenes Gottes, der zu uns gekommen ist, nicht um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen (vgl. Mk 10,42). Ich danke euch sehr für diese brüderliche Gastfreundschaft. Danke.“
Das „große Mitglied von euch“, von dem der Papst sprach, ist Harding Meyer, der frühere Direktor des Instituts für Ökumenische Forschung in Strasbourg, dessen ökumenische Pionierarbeit die Strategie der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ entwickelte und Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre 1999 möglich machte.
Am Ende des Gottesdienstes hat Papst Franziskus Pfarrer Kruse einen Abendmahlskelch mit Patene überreicht; das tut er sonst bei Besuchen in römisch-katholischen Diözesen. Ein bemerkenswertes Zeichen! Möge dieser Besuch des Papstes in einer lutherischen Kirche die ökumenische Bewegung weiterbringen und viele Menschen bewegen!